[10.06.2015] Wurden die Angaben zur Dosisbelastung von Fukushima von den Behörden bewusst geschönt? Diese Vermutung drängt sich auf, wenn man die neuesten Nachrichten aus Japan liest. So unterlagen die offiziellen Angaben zur Strahlendosis von Schilddrüsen im Laufe der Zeit einem bemerkenswerten Wandel. In einem Entwurf der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Dosisabschätzung nach der Atomkatastrophe von Fukushima wurden für Kinder der Stadt Namie im Herbst 2011 noch Schilddrüsendosen zwischen 300 und 1000 Millisievert (mSv) geschätzt. Selbst in den weit entfernt liegenden Millionenstädten Tokio und Osaka rechnete man bei Kindern noch mit Schilddrüsendosen zwischen 10 und 100 mSv. In der endgültigen Fassung des WHO-Berichts „Preliminary dose estimation from the nuclear accident after the 2011 Great East Japan Earthquake and Tsunami“ vom Mai 2012 war allerdings nur noch von Schilddrüsendosen von 100 bis 200 mSv bei Kindern in Namie die Rede, und 1 bis 10 mSv in Tokio und Osaka.
Was war in dem halben Jahr passiert? Journalisten der japanischen Zeitung Asahi Shimbun berichten von direkter Einflussnahme der japanischen Behörden auf die AutorInnen des Berichts, um die unliebsam hohen Strahlenwerte auf ein akzeptableres Niveau zu drücken. IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Alex Rosen gibt zu bedenken: „Die WHO ist als Teil der UN-Familie ein zutiefst politisches Gremium. Entscheidungen werden nicht immer allein faktenbasiert getroffen, sondern auch unter Berücksichtigung der Interessen einflussreicher Geldgeberstaaten. Diese sind zum Großteil Staaten mit einer eigenen Atomwirtschaft, wie Russland, die USA, Frankreich, China, Großbritannien, Deutschland oder Japan. An ihnen vorbei kann auch die WHO nicht arbeiten und so ließ man von Anfang an den Fukushima-Bericht maßgeblich von der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO schreiben – einer Organisation, die die weltweite Förderung der zivilen Atomwirtschaft zum Ziel hat. So erklärt sich auch die erfolgreiche Einflussnahme der japanischen Regierung auf den WHO-Bericht.“
Ein weiteres UN-Gremium, welches sich mit der Atomkatastrophe von Fukushima befasst hat, ist der Wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR). Im UNSCEAR-Bericht vom April 2014 wurde die Schilddrüsendosis für Kinder der 20-30-Kilometer-Zone schließlich nur noch mit 47 bis 83 mSv angegeben. Auch UNSCEAR unterliegt der Einflussnahme der Atomstaaten, die die Mitglieder des Gremiums frei bestimmen können. Gerade erst wurde ein Mitglied der japanischen Atomlobby, Yoshiharu Yonekura, zum Vorsitzenden des Gremiums gewählt - vielleicht auch aufgrund der großzügigen Unterstützung des Ausschusses durch die japanische Regierung. Denn die lässt sich die "Aufklärungsarbeit" durch UNSCEAR einiges kosten. So zahlte sie im Februar 2014, also zwei Monate vor Erscheinen des UNSCEAR-Berichts, dem UN-Gremium die Summe von 863.000 US-Dollar „in Anerkennung der bedeutenden Rolle von UNSCEAR für die Sicherheit von Atomenergie“. Kein Wunder, dass das Vertrauen vieler Japaner in die Behörden und die internationalen Atomgremien angesichts solcher Vorgänge zunehmend erschüttert ist. Die IPPNW fordert daher bereits seit 4 Jahren eine unabhängige Evaluation durch Wissenschaftler, die nicht unter Verdacht stehen, von der Atomlobby bezahlt oder unterstützt zu werden.
Quellen:
Yuri Oiwa: „The Japanese Government Demanded Revisions of the 2012 WHO Report on Fukushima Radiation Exposure”. Asahi Shimbun, 7. Dezember 2014. (Englische Übersetzung)
UN: Fourth Committee Takes Up Effects of Atomic Radiation, Approves Draft Resolution Urging Proper Funding for Scientific Body.
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