Der japanische Premierminister zum Zeitpunkt des Super-GAU von Fukushima, Naoto Kan, hat kürzlich in einem Interview mit dem Spiegel über die aufreibenden Tage im März 2011 gesprochen. “Nur um ein Haar” sei Japan einer noch viel schlimmeren Katastrophe entkommen – der radioaktiven Kontamination der Metropolregion Tokio mit über 50 Millionen Einwohnern. In den Tagen nach Beginn der Atomkatastrophe (dem 11. März 2011) wehte der Wind vor allem Richtung Osten, so dass ein Großteil des radioaktiven Niederschlags (schätzungsweise rund 80%) über dem Pazifik erfolgte. An einem einzigen Tag, dem 15. März 2011, kam der Wind von Südost, so dass sich bis heute eine Spur radioaktiver Kontamination mehr als 30 km nach Nordwesten bis zur Kleinstadt Iitate zieht. Ein einziger Tag mit Wind aus dem Norden in diesen Tagen hätte vermutlich große Teil der Metropolregion Tokio-Yokohama verstrahlt und zur Evakuierung der Stadt geführt. Ex-Premier Kan gibt zu, dies hätte “den Kollaps unseres Landes bedeutet” und macht “eine Reihe glücklicher Zufälle” und “göttliche Fügung” dafür verantwortlich, dass es nicht so weit gekommen ist. Er gibt an, dass er in den kritischen Stunden im März 2011 viele Informationen erst aus den Medien erfuhr – weder Tepco noch sein eigener Beamtenapparat konnten ihm mitteilen, was in den havarierten Reaktoren wirklich vor sich ging.
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima begann Kan öffentlich die verfehlte Atompolitik Japans zu hinterfragen und eine größere Rolle der erneuerbaren Energien zu favorisieren: “Nach meinen Erfahrungen mit Fukushima habe ich meine Einstellung um 180 Grad geändert: Jetzt setze ich mich dafür ein, dass wir die Kernkraft in Japan und möglichst in der ganzen Welt aufgeben.” Auf großen innenpolitischen Druck der Atomlobby hin verlor er schließlich sein Amt im August 2011. Er und sein Kabinett wurden durch eine atomfreundlichere Regierung ersetzt, die jetzt gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit die abgeschalteten Atomkraftwerke wieder ans Netz bringt. Diesen Vorgang erklärt Kan “vor allem mit den Interessen der Stromversorger, Bürokratie und der Industrie”. Neben Kan, der Japan von 2010-2011 regierte, sprechen sich mittlerweile auch die ehemaligen Premierminister Junichiro Koizumi (2001-2006) und Morihiro Hosokawa (1993-1994) für ein Ende der Atomenergie in Japan aus.
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